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Digital Manufacturing mit SAP-Standardsoftware

18.05.2020

Für dormakaba ist Losgröße 1 kein Trend, sondern längst Realität. Mit der Einführung der Standardsoftware SAP Manufacturing Execution (SAP ME) und SAP Extended Warehouse Management (SAP EWM) am Standort Wetzikon hat der Anbieter von Zutritts- und Sicherheitslösungen einen wichtigen Schritt in Richtung „Connected Company“ unternommen. Umgesetzt wurde das ambitionierte Projekt gemeinsam mit IGZ, dem SAP-Projekthaus für Produktion und Logistik.

Die heutige dormakaba Holding AG mit Sitz in Rümlang, Schweiz, ging 2015 aus dem Zusammenschluss der Marken »Dorma« und »Kaba« hervor. Mit diesem Schritt wurde die Gruppe zu einem der Top-3-Unternehmen im Weltmarkt für Zutritts- und Sicherheitslösungen. Diese kommen in Hotels, Shops, Sportstätten, Flughäfen, Krankenhäusern sowie in Regierungs- und Verwaltungsgebäuden zum Einsatz, aber auch in der Industrie sowie in Wohngebäuden. dormakaba bietet Produkte, Lösungen und Services aus einer Hand und hat sich einer nachhaltigen Entwicklung entlang der gesamten Wertschöpfungskette verschrieben. Mehr als 16.000 Mitarbeitende sowie globale Partner sichern die starke Präsenz in mehr als 130 Ländern rund um den Globus. Das an der SIX Swiss Exchange notierte Unternehmen erwirtschaftete im Geschäftsjahr 2018/19 einen Umsatz von rund 2,8 Milliarden Schweizer Franken.


Historisch gewachsene IT-Landschaften

Auf dem Werksgelände in Wetzikon werden rund 95 Prozent der Produkte individualisiert gefertigt; eine Lagerhaltung von Fertigwaren findet nahezu nicht statt. Pro Tag sind mehr als 1.000 Kundenaufträge abzuarbeiten. Daraus resultieren über 3.000 Fertigungsaufträge im gleichen Zeitraum. Schon allein diese Zahlen implizieren enorme Herausforderungen. Hinzu kommen die kundenspezifischen Codierungen (Permutation) und die mit »Losgröße 1« einhergehende Variantenvielfalt, die sich auf n x 100.000 beläuft. Aktuell sind es über 50 Produktionsmaschinen sowie mehr als 100 Handarbeitsplätze, an denen Schlüssel und Schließzylinder hergestellt und im Anschluss in der Montage zusammengeführt werden. Am Standort produziert das Unternehmen außerdem digitalisierte Lösungen für Schließsysteme.

Bis zum Umstieg auf die neue Standardsoftware für die Produktions- und Materialflusssteuerung nutzte dormakaba ein eigenentwickeltes – in den verschiedenen Werken unterschiedlich ausgeprägtes – MES-System sowie eine spezielle Lagerverwaltungslösung im Bereich der Logistik. Wenngleich man die erforderlichen Leistungswerte erreichte, konnten neue Markt- und Produktanforderungen nur durch zeitintensive Weiterentwicklungen bedient werden. In diesem Kontext erwies sich auch die Abhängigkeit von internem Spezialisten-Know-how als langfristig nicht tragfähig.

Digitalisierungsstrategie weist den Weg

»Diese Architektur passte nicht mehr in die Gesamtstrategie«, erklärt Christoph Kunz, seit 2012 Leiter des Werks Wetzikon. »Im Rahmen unserer Digitalisierungsinitiativen fokussieren wir eine End-to-End integrierte Systemlandschaft, auf deren Basis sich Connected Services realisieren lassen.« Ziel ist es, sowohl Produkte untereinander als auch das Unternehmen mit seinen Kunden im Sinne von Industrie 4.0 durchgängig zu vernetzen. Für die Produktion bedeutet der Digitalisierungsansatz: horizontale und vertikale Integration, Standardisierung und Ablösung der bisherigen Systemlandschaft. Vor diesem Hintergrund war auch die Abkehr von der bisher betriebenen, papierunterstützten Fertigung nur konsequent, die einen enormen Sortier- und Handhabungsaufwand verursachte.

Im Vorfeld der Umsetzung prüften die Projektverantwortlichen bei dormakaba drei Möglichkeiten: Verwendung und Anpassung der existierenden MES-Lösung, Konzipierung eines neuen MES in Eigenregie oder die Einführung einer neuen SAP-ME-Standardsoftware. »Die Entwicklung eines eigenen Systems hätte definitiv zu lange gedauert; geschätzt hätte man sicherlich rund 30 Mannjahre dafür aufbringen müssen«, merkt der Werksleiter augenzwinkernd an. Somit waren die Würfel gefallen. Gleichzeitig wurden die operativen Anforderungen analog zur neuen SAP-IT-Strategie definiert: Einbindung mit bestehendem SAP ERP in einem ersten Schritt mit gleichzeitiger Ablösung der veralteten MES- und Logistik-Systeme sowie Vorbereitung auf die Integration eines neuen SAP ERP. In diesem Zusammenhang war es für den Sicherheitsspezialisten auch wichtig, von der zyklischen Weiterentwicklung der Standardsoftware durch SAP auf lange Sicht partizipieren zu können.

Analysieren statt laborieren

Im Rahmen einer Voranalyse wurde die geplante SAP-MES/EWM-Konzeption zunächst gemeinsam mit dem SAP-Projekthaus IGZ überprüft. Dabei zeigte sich in den Workshops, dass man bei den oft sehr speziellen Anforderungen mehr als 75 Prozent der Anforderungen im Standard SAP Manufacturing Execution (SAP ME) abbilden konnte, im Falle von SAP Extendend Warehouse Management (SAP EWM) sogar über 80 Prozent. Daraus resultierten deutliche Kostenvorteile. Um eine kontrollierte Migration auf die neue strategische IT-Architektur sicherstellen zu können, entschied sich dormakaba für ein im laufenden Betrieb durchzuführendes Phasenmodell anstatt eines »Big Bang«, bei dem das Einführungsrisiko weitaus größer gewesen wäre. Zudem hätte man die gesamte Produktion leerfahren müssen.

»An dieser Stelle ist auch die Entscheidung gefallen, den eingeschlagenen Weg mit IGZ weiterzugehen«, sagt Christoph Kunz. »Während der Voranalyse wurde die besondere SAP-ME- und SAP-EWM-Kompetenz deutlich, IGZ bietet alles aus einer Hand und auch die Referenzbesuche haben uns überzeugt.« Entscheidend waren ferner ausgefeilte IGZ-Emulations-Tools für die integrierte und vollautomatisierte Emulation der Produktionsmaschinen/-abläufe sowie Logistik. Damit war eine verbesserte Vorbereitung auf Anlagentests möglich, und Unsicherheiten konnten ausgeschlossen werden, sowohl in der aktuellen Projektphase als auch bei zukünftigen Optimierungen und Erweiterungen.


Synchronisierte System-Kommunikation

Im ersten Schritt haben die IGZ-Ingenieure das Modul SAP ME in den Produktionsbereichen, ohne direkte Anbindung an das bestehende Lagersystem, implementiert. Dabei hat man zunächst 20 Produktionsmaschinen integriert. Realisiert wurde dies über modernste Web-Service-Technologie und SAP Plant Connectivity (SAP PCo). Im Zuge dessen ist es gelungen, die Response-Zeit beim Datenaustausch zwischen den Anlagen und SAP ME auf unter 200 Millisekunden zu reduzieren. Gleichzeitig lies sich im Bereich Schlüssel und Mechatronik bereits die papierlose Fertigung umsetzen. In der darauffolgenden Phase wurden das Produktionsleitsystem auf alle weiteren Bereiche ausgerollt und das bisherige Warehouse-Management-System durch SAP EWM ersetzt. Damit hat man die Zielvorgabe einer direkten und engen Online-Integration zwischen SAP ME und SAP EWM erreicht. In keinem Fertigungssektor sind noch gedruckte Belege anzutreffen.

Heute startet der Auftragsprozess mit Bildung der Permutation und Erstellung einer Segmentierung. Es folgen eine „Klammerung“ nach spezifischen Kriterien im SAP ERP sowie eine erneute, auftragsübergreifende Gruppierung in SAP MES, über die Batches gebildet werden. Diese Lose lassen sich automatisch einem Arbeitsplatz zuweisen und mit Trägern verknüpfen, die auch der Produkt-Identifikation dienen. Ein Tray enthält somit mehrere aus Kleinstmengen bestehende Fertigungsaufträge. Dies hat den entscheidenden Vorteil, dass man die Zahl der im Umlauf befindlichen Handling Units deutlich reduzieren konnte. Nach Abschluss des ersten Abarbeitungsvorgangs beziehungsweise der Vorfertigung sendet SAP ME eine entsprechende Meldung an das SAP EWM, und die Behälter werden automatisch als WIP-Units in einem der zwei, direkt in die Produktionsumgebung integrierten automatischen Kleinteilelager (AKL) zwischengepuffert. In einem nächsten Schritt prüft das System, welcher Arbeitsplatz frei ist oder in Kürze frei wird. Außerdem erfolgt die Abfrage der Qualifikation des jeweiligen Bedienpersonals. So ist sichergestellt, dass anspruchsvolle Montageaufträge direkt dorthin gemeldet werden, wo das erforderliche Know-how vorhanden ist. Parallel erfolgt die Auslagerung der angeforderten Handling-Unit(s).

SAP ME fungiert als »Mastersystem«

Die vollautomatischen Kleinteillager, die direkt in den Prozess eingebunden sind, bieten insgesamt 12.000 Stellplätze in jeweils zwei Gassen. Zudem wurde in die Fördertechnik ein sogenanntes »Zusammen-Führ-Lager« (ZFL) mit 3.000 Stellplätzen integriert. Dabei handelt es sich um eine Spezialautomatisierung, in der sich die Schlüssel aus der Vorfertigung bis zur Ankunft der passenden Zylinder/Inserts puffern lassen. Behälter mit zugehörigen Zylindern/Inserts werden SAP-EWM-unterstützt an das ZFL transportiert und vollautomatisch um zugehörige Schlüssel ergänzt. Von dort aus geht es weiter in die Montage. Durch die Migration auf SAP-Standardsoftware konnte man darüber hinaus den »Ausschuss- und Ersatz-Prozess« (AEP) optimieren. Dabei handelt es sich um einen durch Nacharbeit erforderlichen Folgeschritt, in dem die erneute Fertigung von
auftragsspezifischen Komponenten angestoßen wird. Diese erfahren jetzt eine spezielle Steuerung des Materialflusses mit SAP EWM direkt zum AEP-Platz. Einziges Front-End für die operativen Mitarbeiter ist jedoch SAP ME; sie haben keine Berührung mit SAP EWM. Sämtliche Materialbewegungen im Hintergrund lassen sich direkt über SAP ME als »Mastersystem« anstoßen.

Schlanke Produktion mit Losgröße 1

Seit Anfang 2019 hat IGZ SAP ME im kompletten dormakaba-Werk Wetzikon ausgerollt. Gleichzeitig wurde SAP EWM eingeführt. Papierlose Abläufe und eine automatische Auftragsfeinplanung sind die Folge. Durch die systemgestützte Ablösung des aufwändigen Sortier- und Handlings-Aufwands konnte man große Effizienzsteigerungen erzielen, und es herrscht durchgängig Transparenz über jedes einzelne Teil und jeden Prozessschritt. Zudem profitiert das Personal von anwendungsspezifischen Nutzeroberflächen, die sich intuitiv bedienen lassen. Gleichwohl betont Christian Kunz, dass man auch Lektionen lernen musste. So sei es aufgrund der Komplexität eines solchen Projektes wichtig, sich im eigenen Unternehmen nicht auf wenige Knowhow-Träger zu verlassen, sondern frühzeitig weitere Mitarbeiter einzubinden, um Schlüsselpersonen zu entlasten. Auch der Aufwand für das Testmanagement sollte dabei nicht unterschätzt werden. Dank der sorgsam durchgeführten Funktions- und Massentests hat man die vorherige Produktionsleistung nach der Umstellung in nur einer Woche wieder erreicht.

»SAP ME/EWM ist für dormakaba ein wichtiger Teil von Industrie 4.0 und ermöglicht erst eine lückenlose End-to-End-Integration«, resümiert der Werksleiter. »Auf dem Weg zur Connected Company sind wir damit einen entscheidenden Schritt weitergekommen.« Die Plattform fungiert als Bindeglied zwischen Shop-Floor und dem ERP, liefert Informationen in Echtzeit und steuert die papierlose Fertigung in Losgröße 1 vollautomatisch. Die Transparenz sorgt zudem dafür, schnellere und bessere Entscheidungen treffen zu können, um gegebenenfalls manuell zu intervenieren. Aufgrund des neuen flexiblen Konzeptsder Maschinenanbindung an SAP ME konnte das Unternehmen bereits neue Anlagen vollständig in Eigenregie an SAP ME anbinden. Derzeit stehen neben dem Rollout in weiteren Niederlassungen zusätzliche Optimierungen auf der Agenda. Dazu zählt beispielsweise die Einführung eines fahrerlosen Transportsystems (FTS) mit direkter Ansteuerung aus SAP ME. dormakaba sieht sich jedenfalls für künftige Anforderungen bestens gerüstet.

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